Die sogenannte sunk cost fallacy ist zunächst einfach beschrieben. Ein Entscheidungsträger bringt ein Projekt auf die Beine ohne sämtliche Informationen einzubeziehen, zwei Jahre später steht das Projekt vor dem Aus, doch anstatt die richtige Entscheidung zu treffen wird auf die bereits verwendeten Mittel verwiesen und das Ganze mit erheblichen Kosten vollendet.
Wenn auch natürlich kein rein deutsches Problem, so lässt sich die Anzahl deutscher Großprojekte mit Verdacht auf versunkene Kosten sehen: Von Stuttgart 21 bis zur Elbphilharmonie, kommt die Frage auf welches deutsche Großprojekt nicht betroffen ist. Zudem ist es nicht allein Problem der Bau-Branche: Der Widerstand, mit dem die deutsche Autobranche auf die Elektromobilität reagiert, ist weniger kühl-logischen Managerentscheidungen als irrationaler Emotionalität zuzuordnen, die sich auch durch versunkene Kosten erklären lassen.
Mentalität
Es stellt sich also die Frage warum genau Deutschland sich so schwer damit tut von einem inferioren Entwicklungspfad wie veralteter Technologie oder Kostenmonstern im Bau abzuweichen und auf den superioren Pfad zu springen. Das es auch anders geht, zeigen etwa die Amerikaner, wo kürzlich eine Pläne für eine Schnellfahrstrecke in Kalifornien erheblich eingeschränkt wurden.
Natürlich sind die bereits versenkten Milliarden kein Grund die amerikanische Politik zu belobigen, allerdings zeigen sich hier grundlegende Mentalitätsunterschiede, die dafür sorgen, dass ein größenwahnsinniges Großprojekt abgeblasen wird und ein kalifornischer Autohersteller Autos baut, die “sexier sind als alles was die deutschen Hersteller zu bieten haben”. Zum Prinzip des “Trial and Error” gehört dass man den “Error” als solchen erkennt und so aus ihm lernen kann. Das Deutschland sich diesem offensichtlich sehr erfolgbringendem Prinzip so vehement verschließt könnte auch in dem zunehmenden Konservatismus einer alternden Nation begründet sein.
Eherne Elite
Das Problem mit deutschen Pfadentscheidungen ist unzweifelhaft auch bei den Entscheidungsträgern zu suchen. Hier zeichnet die Soziologie ein düsteres Bild: Deutschlands Wirtschaft zeichnet sich vor allem für eine exklusive soziale Rekrutierung aus, in der mehr nach informellen Eigenschaften denn nach Qualifizierung selektiert wird. Man mag sich über britische, französische und amerikanische Eliteuniversitäten pikieren solange man will, allerdings sorgen sie für erheblich mehr soziale Mobilität in die hohen Echelons der Chefetagen der großen Unternehmen, im Zweifelsfall dadurch, das Alumni selbst welche gründen. Man merkt an der Rigorosität mit der die jüngsten Zulassungsbetrügereien in Amerika verfolgt werden, welche Stellenwert sie in der amerikanische Anreizkultur einnehmen.
Hier wird ein großes Hindernis für erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklungsprozesse deutlich: Wenn jemand in seiner Führungsposition nicht aufgrund seines Könnens sondern seiner Eltern, seines Habitus oder oder seines Kleidungsstil ist, macht das eine kompetente Entscheidung unwahrscheinlich. Nicht nur das, es zeugt von einer hohen Empfindlichkeit gegenüber der Wahrnehmung durch andere, die in vielen Situationen hilfreich sein mag, aber wenn es gilt schwierige Entscheidungen zu treffen die eine dicke Haut abverlangen, nur hinderlich ist. Man mag “souverän und staatsmännisch” wirken wenn man in den verlangten Klientelen aufwächst, dass man die richtige, schwierige Entscheidung trifft heißt das noch lange nicht.
Wie löst man nun das Problem der versunkenen Kosten und bringt Deutschland mikro- und makroökonomisch auf den optimalen Entwicklungspfad? Weiterbildungsseminare werden das Problem vermutlich nicht lösen. Entscheidend sind Mechanismen der Mentalität und Elitenrekrutierung die tief gehen und die man nicht von heute auf morgen umstrukturieren kann. Allerdings ist der Versuch entscheidend, selbst wenn er nicht erfolgreich ist, wenn Deutschland seine europäische Führungsrolle und internationale Position behalten will.
Leo A. Hennig
18.03.2019